EU-Ökodesign-Verordnung – Schlupflöcher schon jetzt?
Jegliche Warnungen, Mahnungen und Einwände der einschlägigen Branchenverbände und TV-Hersteller halfen nichts: Seit dem 01. März 2023 gilt die neue Ökodesign-Verordnung der Europäischen Union. Die überarbeiteten Richtlinien geben strikte Grenzwerte für den maximal zugelassenen Energieverbrauch eines Fernsehers vor.
Innovative Technologien besonders betroffen
Nicht nur die Branchenorganisation gfu Consumer & Home Electronics sieht die neue Verordnung kritisch. Die Grenzwerte seien klar zu restriktiv und sollen sich so nicht nur negativ auf das Angebotsspektrum am TV-Markt, sondern auch problematisch auf die Forschung für zukünftige Technologien auswirken.
Von den neuen Regeln sind Fernseher mit großen Bilddiagonalen besonders betroffen. Insbesondere aber auch Geräte, die mit innovativen und zukunftsträchtigen Technologien bestückt sind. Angefangen bei modernen OLED-Fernsehern über TVs mit 8K-Auflösung und den aktuell noch schleichend in den Markt dringenden Micro LED-Displays.
Geschäftsführerin bei der gfu Consumer & Home Electronics Dr. Sara Warneke äußert folgende Kritik:
„Nachhaltiges Denken ist bei den Herstellern der Consumer Electronics fest verankert. Allerdings steht auch die Steigerung von Qualität und Erlebnis für die Konsumentinnen und Konsumenten in ihrem Fokus. Mehr Energie erfordernde Technologien wie HDR oder die steigenden Anforderungen an die Bildauflösung, wurden bei der Festlegung der Effizienzrichtlinien kaum berücksichtigt, stattdessen wurde ein kontinuierlich sinkender Energieverbrauch postuliert, wie er vor einigen Jahren bei der Umstellung der LCD-Hintergrundbeleuchtung auf LED erreicht wurde, doch solche Technologiesprünge finden nicht ständig statt“
Problematisch sieht Dr. Warneke insbesondere die Tatsache, dass Geräte mit neuartigen Technologien am stärksten mit den neuen Richtlinien zu kämpfen haben und die Einführung neuer, moderner Geräte gar komplett ausgebremst werden könnte:
„Wenn Vorgaben dazu führen, dass technologischer Fortschritt im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht stattfinden kann, dann sollten diese Vorgaben unbedingt den Realitäten angepasst werden.“
Micro LED-Displays – kurz nach der Einführung schon das Aus?
Die Sorge, dass die EU-Verordnung den Fortschritt der TV-Entwicklung bremsen könnte, ist nicht unbegründet. Für die meisten 4K-Fernseher haben die neuen Regeln keine oder nur eine geringfügige Auswirkung. Zwar werden voraussichtlich die meisten LCD-Fernseher, die über eine Bilddiagonale von 49 Zoll und größer verfügen, in die schlechteste Energieeffizienzklasse G eingeteilt, käuflich erwerbbar bleiben sie aber weiterhin.
Schwieriger wird es für die oben genannten Technologien Micro LED, Geräte mit 8K-Auflösung und auch große OLED-Fernseher. Diese benötigen prinzipbedingt mehr Strom und werden teilweise die Vorgaben nicht erfüllen. Das bedeutet wiederum, dass sie gar nicht erst in den Verkauf dürfen.
Fernseher, die bereits an den Handel ausgeliefert wurden, können zwar weiterhin in den Regalen stehen und abverkauft werden, nachfolgende Geräte müssen aber definitiv die neuen EU-Regeln erfüllen. Die Richtlinie, die ursprünglich zur Orientierung über den voraussichtlichen Stromverbrauch des Gerätes für den Endkonsumenten gedacht war, könnte nun also dazu führen, technische Innovationen einzubremsen.
Schlupflöcher – Wie Hersteller die neuen EU-Vorgaben umgehen können
Film- und TV-Fans können scheinbar aber wohl schon jetzt aufatmen. Das liegt vornehmlich am speziellen Prozedere, wie der Energieeffizienzindex eines Fernsehers ermittelt wird. Denn die komplizierte Formel berücksichtigt die Leistungsaufnahme des TVs bei der Darstellung von SDR-Material ab Werk.
Zum einen benötigen Geräte dabei ohnehin schon deutlich weniger Strom, als wenn HDR-Material dargestellt wird. Zum anderen gibt die EU keine Regel vor, in welchem Bildmodus sich der Fernseher befinden bzw. wie der TV generell eingestellt sein muss. Der springende Punkt ist also, dass der Energieeffizienzindex stets im Auslieferungszustand ab Werk ermittelt wird.
Ein TV-Hersteller kann also, zumindest in der Theorie, den Werkszustand des hochentwickelten, modernen Fernsehers mit hohem Energiebedarf so einstellen, dass möglichst wenig Energie benötigt wird. Da gibt es, je nach Gerät, verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten erreicht man dies jedoch, in dem die Bildhelligkeit so niedrig wie möglich eingestellt wird.
Während noch bis zuletzt häufig der Dynamik-Modus mit intensiver Farbgebung und maximaler Helligkeit und Kontrast gewählt wurde, um die Blicke in den Regalen der Elektro-Großhändler auf sich zu ziehen, könnten schon bald Bildmodi wie „Natürlich“, „Film“ oder „Kino“ zum neuen Standard werden.
Diese Presets sind mit angenehmer Farbtemperatur und eher niedrigen Helligkeitswerten für den Betrieb am Abend bzw. in einer abgedunkelten Umgebung vorgesehen und benötigen daher grundsätzlich eine geringere Bildschirmhelligkeit, was wiederum weniger Stromverbrauch zur Folge hat. Auf Basis dieser Werkseinstellungen wird dann der Energieeffizienzindex ermittelt, wenngleich das Gerät grundsätzlich das Potential für einen deutlich höheren Energiebedarf hat.
- Der Endkonsument kann dann schließlich nach dem Kauf des großformatigen OLED-Fernsehers, 8K-TVs oder Micro LED-Displays die Werkseinstellungen in dem Maße anpassen, wie es für ein beeindruckendes visuelles Erlebnis notwendig ist.
Auf diese Weise können die neuen EU-Richtlinien vom Hersteller eingehalten werden, das Heimkino-Erlebnis für Freunde eines großen Bildes mit authentischer und imposanter Darstellung bleibt aber erhalten. Relevante TV-Hersteller, darunter Marken wie Samsung, Panasonic und Philips gaben bereits zur Kenntnis, dass die neue EU-Verordnung sich vermutlich kaum auf das TV-Angebot am Markt auswirken wird.